Anna Mayr

Anna Mayr analysiert in diesem Buch, welchen Stellenwert unsere Gesellschaft der Arbeit zumisst und wie im Gegenzug Menschen ohne Arbeit aus dem Raster fallen.
Das ist oftmals sehr klug und augenöffnend. Das Hochhalten von Arbeit und Leistung ist in unserer Gesellschaft tief verankert und ich kann auch selber sagen, dass ich genau so denke. Auch für mich ist Arbeit ein sehr wichtiges Element des Lebens und der Selbstdefinition. Auch ich bin eine Bildungsaufsteigerin und habe keinen Urlaub mit meinen Eltern erlebt, meine erste Avocado mit 28 gegessen usw. Allerdings haben meine Eltern gearbeitet und wir hatten ein Haus, die Ähnlichkeiten sind also nicht allzu groß.
Auch ich konnte meinen Bildungsaufstieg u.a. durch Abitur, Studium und ein Stipendium verwirklichen. Insofern bin ich etwas irritiert, dass Anna Mayr der Bildung einen gar so geringen Wert zumisst, denn ihre eigene Position hat sie ja hauptsächlich ihrer Bildung zu verdanken, ihren formalen Abschlüssen, ihrer Klugheit. Natürlich ist mir bewusst, dass man nicht warten darf, bis Kinder gebildet sind, dass sie jetzt und heute Geld benötigen. Dass es Menschen gibt, die einfach nur Geld brauchen, gerade jetzt mit den steigenden Energiepreisen, ist mir völlig klar. Das Uli Hoeneß-Beispiel ist hier sehr geeignet: Er hat 28,5 Millionen Euro Steuern hinterzogen. Jemand, der unrechtmäßig Hartz IV bezieht, müsste 5.600 Jahre alt werden um der Gemeinschaft so sehr zu schaden.
Und doch halte ich Bildung und auch Sozialarbeit für elementar, und auch Anna Mayr hat davon profitiert, von der Theater-AG ihrer Stadt zum Beispiel. Ich finde auch das Kapitel über Nahrung seltsam. Um mit Chicken McNuggets satt zu werden, muss man doch ein Vielfaches essen, als wenn man Nudeln, Kartoffeln, Gemüse oder ähnliches kocht. Mir ist klar, dass McDonalds eine Spur „sich gönnen“ und „Luxus“ ist. Das war es auch für mich als junges Mädchen, als ich mit 16 zum ersten Mal da hin kam. Aber mir wurde schnell klar, dass selbst gekochtes Essen mit Brokkoli und Vollkorn, gerade wenn man wenig Geld hat, die bessere Alternative ist.
Aber gut, so ganz verstehe ich das also nicht. Ich weiß, dass ich privilegiert bin, weil ich klug und leistungsfähig bin. Aber irgendwoher muss ja auch das ganze Steuergeld kommen, mit dem Hartz IV und Sozialhilfe bezahlt wird. Ist es wirklich so verwerflich, das westliche Arbeitsethos verinnerlicht zu haben (Zähne zusammenbeißen und sich zusammenreißen)? Mir fällt das wirklich schwer zu verstehen. Da, wo ich wohne, kann ich mir nicht vorstellen, dass es einen arbeitslosen Tischler gibt, der nicht auch in einem schönen Betrieb Arbeit finden würde, also nicht in der Fabrik, sondern wo man Möbel baut. Und dann denke ich, dann könnte man doch arbeiten, auch wenn das anmaßend ist, denn natürlich haben viele Menschen ihre Gründe und Probleme. Absichtlich tut sich das vermutlich niemand an.
Ich verstehe also kognitiv durchaus die Aussagen und auch das Buch, ertappe mich auch bei vielen Denkfallen und die größte Falle (work, work, work) habe ich irgendwie immer im Kopf.… (meer)